Subject: TKG: Stand der Beratung Date: Mittwoch, 12. Juni 1996 From: Manuel Kiper, MdB B90/Grüne (Autor: Ingo Ruhmann) To: de.soc.netzwesen, de.soc.datenschutzHallo Leute,
aufgrund zahlreicher Anfragen hier noch mal einige wichtige Punkte und eine kurze Zusammenfassung
Zum Stand des TKG:
MailboxbetreiberInnen aufgepaßt!
Stand der Gesetzgebung
Das TKG wird am Do., den 13.6. in 2. und 3. Lesung im Bundestag behandelt und
damit verabschiedet. Am 14.6. soll es dann durch den Bundesrat. Bei der
Fraktionssitzung der SPD gab es gestern die Überraschung, daß mit Mehrheit
gegen das TKG gestimmt wurde (Zur Erinnerung: das TKG wurde von CDU/CSU, FDP
und SPD ausgehandelt).
Grund der Ablehnung war vor allem eine fehlende
Kompensationslösung für Kommunen: Während Kommunen unentgeltlich Wegerechte
für TK- Unternehmer abtreten müssen, haben sich die Bauern mit
Nutzungsentschädigungen durchgesetzt. Die minimale Universaldienstdefinition
(nun nur noch Sprachtelefonie) ist zwar lächerlich, war aber dabei
unbedeutend. Der von den SPD- Verhandlungsführern im Postausschuß eingebrachte
Antrag zugunsten der Kommunen wurde heute abgelehnt. Ob die SPD danach bei
ihrem Nein bleibt, ist abzuwarten. Da eine Ländermehrheit im Bundesrat derzeit
gesichert ist, hat diese Position der SPD keinen Einfluß mehr auf das TKG.
(Nachtrag bw: Der Bundesrat hat das Gesetz am 14.6.96 abgelehnt und den Vermittlungsausschuß angerufen)
Das TKG ist in einigen Teilen merklich verändert worden. Im folgenden beschränke ich mich vor allem auf den Bereich Datenschutz und dabei erst mal auf die
Verbesserungen im TKG
Auch die gibt es. Durchsetzen konnten sich Ansichten und Änderungsanträge von Bündnis 90 / Die Grünen bei den Beratungen zu folgenden Punkten im Bereich Datenschutz:
* Par 85: Statt des Verbots, Abhörstatistiken zu veröffentlichen, enthält das TKG nun die Vorschrift, diese im Bericht der Regulierungsbehörde zu veröffentlichen.
* Par 86: Die TK- Datenschutz- Verordnung gilt nun nicht mehr allein für gewerbliche Anbieter. Der gesamte Abschnitt 11 TKG (Datenschutz) rekurriert nun auf das "geschäftsmäßige Erbringen von Telekommunikationsdiensten", auf unser Drängen definiert als "nachhaltiges Angebot von Telekommunikation" (... einschl. Übertragungswege) "für Dritte mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht" -- es betrifft also vom TK- Unternehmen und corporate networks bis zum Hobby- Mailboxbetreiber ("ohne Gewinnerzielungsabsicht") eine große Zahl von Anbietern.
* 86 (2) 1.e und (3): Die allgemeine Befugnis zum Abhören von Inhalten zur Aufklärung von Leistungserschleichung wurde eingeschränkt durch die Erfordernis konkreter Anhaltspunkte und die maschinelle Erhebung von Steuerdaten im Einzelfall mit Benachrichtigung nach Abschluß der Maßnahme.
* 86 (6) 2 enthält nun die Einwilligungspflicht der KundInnen für Nutzung ihrer Daten zu Werbezwecken,
* 86 (7) zu Einträgen in Register bei elektronischen und nicht- elektronischen Registern differenziert besser und erlaubt KundInnen, ihren Eintrag nach Wunsch zu gestalten.
Verschlechterungen
* Par 86 (6), in dem vorher schon die Verpflichtung von Betreibern enthalten war,
den zuständigen Stellen bei Strafverfolgung und Ordnungwidrigkeiten und
Geheimdiensten bei deren Aufgaben Daten zu geben,
(analog zu den Verpflichtungen
von Behörden -- das echte Novum ist, daß hier erstmals Privatunternehmen
derartig weitreichend zu Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft und der
Geheimdienste gemacht werden)
ist nun um eine Verschwiegenheitsklausel
erweitert worden, nach der die Benachrichtigung des Kunden über eine
Datenweitergabe verboten ist.
* Par 87, der den automatischen und unbemerkten Datenabruf von Kundendaten und
Rufnummern aus den Anbieter- Registern durch die Regulierungsbehörde für
Strafverfolger und Geheimdienste regelt,
-- enthält auch weiterhin keine Zweckbindungklausel
-- wurde erweitert auf das JEDERZEITIGE Erteilen von Auskünften (entsprechend
der Bundesratsforderung) und
-- wurde erweitert auf geschäftsmäßige Anbieter von TK- Diensten (Definition
dafür: s.o.), also auch Mailboxanbieter ohne Gewinnerzielungsabsicht.
* Par 88 (Durchsetzung von Verpflichtungen) gilt nun auch für geschäftsmäßige Anbieter von TK- Diensten: Ihnen kann nun auch bei Verstößen der Betrieb untersagt werden.
Ein effektiver Schutz des Fernmeldegeheimnisses wurde abgelehnt, der Par 12 FAG (Fernmeldeanlagengesetz) wurde ebenfalls nicht gestrichen.
Was bedeutet das für wen?
Aus Sicht der KundInnen sind vor allem ein einheitlicher Datenschutz im TK- Bereich, aber auch die anderen angeführten Verbesserungen zu begrüßen.
Nicht aufgewogen wird das allerdings durch das abgrundtiefe Unverständnis gegenüber einem wesentlich verbesserten Fernmeldegeheimnis. Telekommunikation ist die Basis der Informationsgesellschaft. Teledienste wie Telemedizin, Telebanking oder Telearbeit nutzen vernetzte Computer zum Austausch sensibelster Daten. Arzt-, Bank- und Betriebsgeheimnis und andere Schutz- und Verschwiegenheitsrechte werden dabei auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses reduziert. Das Fernmeldegeheimnis wird in der Informationsgesellschaft zum strategischen Grundrecht.
Seine Wahrung müsste deshalb einen besonderen Stellenwert haben. Dem wird der Entwurf zum TKG nicht im Mindesten gerecht. Der Par 87 TKG fügt den bisherigen Überwachungs- Ebenen direktes Abhören und Beschlagnahme von Verbindungsdaten nun als dritte Ebene den unbemerkten Datenabruf von Stammdaten der Anbieter hinzu. Zwischen den für eine demokratische Informationsgesellschaft erforderlichen Zielen und der im TKG erweiterten Praxis klafft so ein immer weiterer Abgrund.
Praktisch heißt das -- um auch diese Fragen noch zu beantworten -- für Anbieter
und vor allem MailboxbetreiberInnen folgendes:
Die umstrittenen TKG- Paragraphen richten sich wie gesagt an alle, die ein
"nachhaltiges Angebot von Telekommunikation" (... einschl. Übertragungswege)
"für Dritte mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht" machen. Telekommunikation
ist definiert als "der technische Vorgang des Aussendens, Übermittelns und
Empfangens von Nachrichten jeder Art in der Form von Zeichen, Sprache, Bildern
oder Tönen mittels Telekommunikationsanlagen" (Par 3 Punkt 13 TKG).
Das trifft problemlos auch für Mailboxen zu.
Daß das BAPT (Bundesamt für Post und Telekommunikation) oder die Regulierungsbehörde damit ernst machen, ist für den Anfang zwar kaum zu erwarten, das grosse ABER ist jedoch, daß sie die mit dem TKG die Befugnis dazu haben, auch kleine Mailboxen an ihr Netz anzuschließen und dies nutzen werden, wenn ihre Organisationsstruktur aufgebaut ist und es politisch und für die amtlichen "Bedarfsträger" opportun ist. Nach dem Motto "das wird doch nicht so schlimm" nun den Kopf in den Sand zu stecken, dürfte daher zu einem bösen Erwachen führen.
Dasselbe gilt übrigens auch für die Fernmeldeanlagen- Überwachungsverordnung (FÜV), die sich an alle Betreiber von Fernmeldeanlagen richtet, die für den öffentlichen Verkehr bestimmt sind: Auch die umfaßt jede Art von Mailbox, soweit sie nicht in einem Inhouse- Netz oder eine geschlossene BenutzerInnen- Gruppe arbeitet (dafür ist der endliche Kreis angemeldeter UserInnen nicht hinreichend!).
Damit bekommen wir mit TKG kein Gesetz zur Vielfalt der Netze, sondern eher das Gegenteil. Ohne jetzt vom Abbau von Grundrechten -- vom Arzt- über das Bankgeheimnis und was sich sonst noch durch das Aushöhlen des Fernmeldegeheimnisses auf Netzen verflueuuml;chtigen laeauml;sst -- zu reden, läßt sich dies auch rein marktwirtschaftlich folgern: Wer, der ohne Gewinnerzielungsabsicht anbietet, soll die Infrastruktur ("dritte Leitung") und die Schnittstelle für den "jederzeitigen" Datenabruf berappen? Auch so läßt sich Konkurrenz "verschlanken".
Trotz einiger Verbesserungen wird die Bewertung des TKG daher negativ ausfallen. Die wichtigsten Weichenstellungen wurden hier verschlafen. Letzte vage Hoffnung ist allenfalls die Drohung großer Anbieter mit dem Gang vor die Gerichte gegen eine Kostenübernahmepflicht.
Das TKG hat immerhin gezeigt, wie nötig die Aufklärung der Verantwortlichen über die Probleme einer demokratischen Informationsgesellschaft und die Vermittlung der praktischen Bedeutung ihres Tuns ist. Das sollte verstärkt werden.
An dieser Stelle möchte ich auch all jenen herzlich danken, die sich eingemischt und sich mit ihrem Protest hier in Bonn durchaus Gehör verschafft haben.
Viele Grüße
Ingo Ruhmann
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