Zensur im Internet

Das globale Dorf braucht keinen Sheriff

Von Thomas Kleine-Brockhoff


I
n der Spitzentechnologie, das weiß jedes Kind, liegt Bayern ganz weit vorn. Sogar die Polizei ist dort ultramodern. Sie versteht sich darauf, Computer zu bedienen, und begegnete so, während sie lässig durchs Internet surfte, lauter Cyber-Schurken. Jetzt haben Bayerns Gesetzeshüter im Kampf gegen das Netz-Gangstertum - oder was sie dafür halten - erstmals medienwirksam zugeschlagen: Gegen Mitarbeiter der Firma CompuServe wird wegen des Verdachts der Verbreitung von Kinderpornographie ermittelt.

CompuServe, das seinen Kunden die Tür zum Internet öffnet, ist m&aum;chtig erschrocken und hat den zugang zu 200 Diskussionsforen gesperrt, bei denen es irgendwie um Sexualität geht. Nun wird es, was ja nur recht und billig wäre, nicht nur Pädophilen schwergemacht, ihre Obszönitäten auszutauschen; auch Schwule und Lesben werden gezwungen, andere Wege ins Internet zu finden, wenn sie ihre virtuellen Versammlungen besuchen wollen. Und das weltweit, denn die Sperre trifft Kunden in 140 Ländern. Zensur! ruft nun die Internationale der Computerfreaks.

Zu Recht. denn tatsächlich steckt im Internet, dem zusammenschluß von Millionen kleiner und mittlerer Computer, das Versprechen radikaler Demokratie: Niemand beschränkt mehr den Zugang; niemand bewertet oder kontrolliert den Datenfluß. Ein herrschaftsfreier Raum also, in dem jeder unerkannt auf jede Information zugreifen kann - Segen für alle, die unter autoritären Regimen leiden. Die Unbegrenztheit der Netze macht aus den Bewohnern des globalen datenraums Kosmopoliten und kann sogar das Prinzip staatlicher Souveränität in Frage stellen. Bis heute ist offen: Wer setzt im Konfliktfall Recht? Wer bestimmt die Grenzen der Meinungsfreiheit?

Weil die Welt wohl ein Völkerrecht, aber noch kein Weltmedienrecht kennt, versucht jetzt ein Münchner Staatsanwalt, das lokale Recht gegen den Einfluß globaler Technik zu verteidigen. Im Verein mit dem beflissenen CompuServe - Management erhebt er ungewollt den örtlichen Standard zum Weltmaßstab. ein gefährliches Prinzip: Was, wenn ein staatsanwalt in Teheran einen Tschador vor allen virtuellen Frauenbildnissen verlangt? Was, wenn China seine Forderung durchsetzt, "schädliche Informationen" aus dem Internet zu tilgen?

Mit dem Internet ist es wie mit Sexheften und Gewaltvideos: Den Nachwuchs feit nur eine gute Erziehung, notfalls verstärkt um eine Kindersicherung. Ansonsten gilt: Schmuddelkram kann man nicht verbieten, nur ignorieren.



© DIE ZEIT Nr. 2, 5. Januar 1996.
Exklusive Zweit-Veröffentlichung mit Genehmigung des Verlages.