Erschienen im
Mac MAGAZIN 9/95.
Verfaßt: Juni 1995
"Verwebbt": Februar 1996
Letzte Änderung: 1. Juni 1996
Im Interesse einer schnelleren Ladezeit dieses Dokuments habe ich auf die Einbindung von Bildern gänzlich verzichtet.


Das kreative Dreigestirn:
Aaron Koenig
Matthias Oelmann
Vicky Tiegelkamp

Wonderland Web

Sie sind kreative Alleskönner. Sie setzen Maßstäbe in der Gestaltung von Web-Seiten. Sie sind die "VH-1derlander". Bernd Wendorf hat sie besucht.

Beim Betreten der Büroräume von MME wird der Besucher von Dieter Moor begrüßt. Der lange Schlacks war Conferencier und Talkmaster von "Canale Grande", dem medienkritischen TV-Magazin aus der Anfangszeit von VOX. Nun steht er als Pappfigur neben dem originalen "Farbbalken- Sofa", auf dem er seine Studiogäste zum Schwitzen brachte. "Liebe Zielgruppe...", so pflegte er seine Zuschauer zu später Stunde zu begrüßen.

Die besagte Sendung ist Geschichte, deren Produktionfirma MME ("Me, Myself & Eye") gehört dagegen die Gegenwart -- und die Zukunft.
Im "Medienlabor", dem Arbeitsplatz der Autoren von VH-1derland, ist es heute relativ ruhig. Der Grund: Die ISDN- Verbindung ist zusammengebrochen. Der gewohnte Datenfluß ist zum Rinnsal geworden, lediglich ein 14.4er Modem verbindet die Web-Weber Vicky, Aaron und Matthias mit der Netzwelt. Gelegenheit für einen Plausch in aller Ruhe.

Die Geburtsstunde des VH-1derland

Aaron Koenig erzählt, wie das VH-1derland entstanden ist: "Im November '94 wurde ich zusammen mit Vicky und Matthias von MME angeheuert, um das Konzept für X-Base (Anm.: ZDF-Computermagazin)  zu verbessern. Wir haben dann eine wöchentliche Themen- Schwerpunktsendung eingeführt, da ging es zum Beispiel um das Internet, um Virtual Reality, um Hacker, um virtuelle Gemeinschaften et cetera. Hat allerdings nichts genützt, die Sendung wurde trotzdem abgesetzt. So haben wir uns etwa ab Februar nach einer neuen Tätigkeit umgesehen und dann einfach für VH-1 das 1derland gebaut."
Die Leute aus der Führungsetage des Musiksenders waren begeistert. Das Konzept wurde in wenigen Wochen umgesetzt, und seit dem 4. Mai 1995 gibt es eine neue "gute Adresse" im World Wide Web: http://www.vh1.de/. Im ersten Monat seines Bestehens konnte das VH-1derland etwa 100.000 Zugriffe verzeichnen -- eine beachtliche Zahl für einen Anbieter, der sich ausschließlich an ein deutschsprachiges Publikum wendet.

Form und Inhalt

Unverkennbar ist der Anspruch der Medienlaboranten, Erkenntnisse aus dem Bereich Kommunikationsdesign in die Tat umzusetzen. Die Gestaltung der Web Site zeichnet sich durch eine einheitliche Linie aus, sowohl beim Seitenaufbau als auch in der Farbgestaltung. Es gibt zahlreiche grafische Elemente, aber keine Überfrachtung (weder optisch noch was die Bandbreite betrifft); der Besucher findet sich schnell zurecht. Die Bild- und Grafikelemente sind keine visuellen Strohfeuer, sondern angenehmer Augenschmaus, der zum Verweilen, zur Lektüre der Texte animiert.

Das angebotene Spektrum der Informationen reicht von Neuigkeiten aus der Musikbranche (inklusive der Charts) über die Selbstdarstellung der VH-1-Moderatoren bis zum Meinungsaustausch -- am Wochenende "live" in der Lounge, im Normalfall in Form des "Gästebuches" als email- Korrespondenz mit den Besuchern.

Design oder nicht sein

Aaron Koenig unterstreicht die Bedeutung, die das Design von Web-Seiten für den Erfolg dieser neuen Form von Marketing hat: "Unser Design soll so einfach und klar wie möglich sein, damit sich die Leute gut zurechtfinden und schnellen Zugriff haben. Grafiker, die riesige GIFs mit Farbverläufen und Chrombuttons auf die Seiten packen, auf die man dann endlos warten muß, beweisen damit nicht nur Mantafahrer- Geschmack, sondern auch, daß sie das Medium nicht verstanden haben."

Die Reaktionen der Besucher zeigen, daß sich die Arbeit der 1derlander für VH-1 bereits bezahlt gemacht hat. Der Musiksender hat zumindestens innerhalb der Web- Gemeinde seinen Bekanntheitsgrad erhöht und sich ein Image als "hip" und innovativ zugelegt. Anfragen von Surfern außerhalb des Sendegebietes, wann VH-1 denn endlich auch bei ihnen zu sehen sei, unterstreichen das Interesse, das durch die Web- Visitenkarte geweckt worden ist.

Der Folgeauftrag

Ende Juni hat das Team vom MME Medienlabor ein neues Projekt ins Netz gebracht: www.tvmovie.de. Der Bauer-Verlag, der zu einem Drittel an MME beteiligt ist, wollte der erste Anbieter sein, der eine Programmzeitschrift ins Web- Format bringt. Dank eines kreativen Zwischenspurtes des 1derland- Teams ist dieser Kraftakt gelungen.

Die Web Site von TV Movie hat einen gänzlich anderen Zuschnitt als das VH-1derland. Die Programminformation steht hier im Vordergrund, mithin das Einbinden von Datenbankbeständen und der schnelle Zugriff darauf. Den Web- Webern im Medienlabor ist es aber auch unter diesen Bedingungen gelungen, ein unverwechselbares, innovatives Erscheinungsbild zu kreieren.

Markt der Zukunft

Bauers Engagement ist nur ein Beispiel für das rapide steigende Interesse deutscher Verlage, sich in den Online-Markt einzuklinken. Eine Woche nach dem Start von TV MovieON präsentierte die Bertelsmann- Tochter Gruner+Jahr ein ambitioniertes Projekt unter dem Label von TV Today: "The Navigator", ein bilingualer Service mit globaler Ausrichtung.
Das Angebot geht über die Abfrage von nationalen und internationalen TV-Programmen weit hinaus, so gibt es zum Beispiel eine Reihe von Links zu interessanten Plätzen in den Bereichen Medien und Unterhaltung. "The Mall", ein virtuelles Kaufhaus mit unbegrenztem Fassungsvermögen, ist bereits eröffnet.

Kommerz und Kunst

Online-Werbung muß nicht störend wirken. Aaron verweist auf die Seiten von Hotwired. "Das Web hat für Werber große Vorteile: sie müssen nicht sich nicht mit dubios ermittelten Einschaltquoten begnügen, sondern bekommen exakte, belegbare Zugriffszahlen. Außerdem setzt man sich mit dem Web, wo man selbst bestimmt, was man sich wie lange ansieht, viel intensiver auseinander als mit einem Berieselmedium wie dem Fernsehen."

Ausblick

Die nahe Zukunft der Web-Weber im MME Medienlabor sieht angesichts der derzeitigen Aufbruchstimmung in deutschen Landen rosig aus. Vicky glaubt allerdings nicht, daß sich dieser Trend dauerhaft fortsetzt: "In zwei, drei Jahren ist der Markt gesättigt. Dann wird die Verbindung von Fernseher und Computer im Vordergrund stehen, da tun sich ganz neue Betätigungsfelder auf."

Bis dahin ist es noch etwas Zeit, in der sich der Surfer am VH-1derland erfreuen kann. Die Arbeit daran geht ständig weiter; geplant ist unter anderem die Einbindung von Interviews im "Real Audio"- Format -- mehr dazu bei www.realaudio.com.



Das kreative Dreigestirn

Aaron Koenig (31) ist der Umgang mit dem Computer seit seiner Jugend vertraut. Sein Informatikstudium brach er allerdings nach einem Semester ab und wechselte zur Hochschule der Künste Berlin, wo er sich wahrend seines Kommunikationsstudiums vor allem mit Fernsehdesign, Computeranimation und Multimedia beschaeftigte.
Ende '93 hat er bei einem Aufenthalt in San Francisco, unter anderem beim WIRED Magazine, bezüglich des Internets "Blut geleckt", wie er sagt. Vor seinem Engagement im Medienlabor hat Aaron als freier Redakteur für Canale Grande und im "Pixelpark" gearbeitet.

Matthias Oelmann (27) ist der eigentliche "Hacker" im Team. Er besitzt Programmierkenntnisse (unter anderem C und UNIX), ohne die eine Web Site auf Dauer nicht funktionieren kann.
Matthias' Stationen vor dem Engagement im Medienlabor: Volontär bei Studio/Moor und seit November letzten Jahres "Jungredakteur" bei X-Base.

(Mittlerweile haben Aaron und Matthias eine eigene Firma namens Lava gegründet)

Vicky Tiegelkamp (28) saß im April 1994 zum ersten Mal an einem Computer. Ursprünglich hat sie Fotografin gelernt. Nach einem Praktikum in einer CD-ROM-Produktionsfirma bewarb sie sich im November 1994 als redaktionelle Volontärin bei MME. Vicky hatte noch am selben Tag einen neuen Job -- im Computerbereich.
(Mittlerweile ist sie im Wildpark in Berlin)

(Zurück zum Anfang des Artikels)


bwww.de/offertenhome